Freitag, 19. Februar 2016

Hans Barth: "Türke, wehre dich!" (1898)


H. Barth: Türke, wehre dich!, Leipzig 1898, 3. Kap.: Die Lepsiade
III.
Die Lepsiade oder der Kolportageroman des
Pastors Lepsius.
„Tu te fâches, done tu as tort."

Natürlich liegt es mir gänzlich fern, den Autor des neuen „Hexenhammers" als bewußtes Werkzeug englischer Intrigue zu bezeichnen, ihm eine politische Rolle zuzuweisen, ihm Mangel an Überzeugung vorzuwerfen. Im Gegenteil! Herr Johannes Lepsius, der protestantische Torquemada im Westentaschenformat, hat ein Anrecht auf Nachsicht, nach den Worten des von den Hetzpfaffen so heuchlerisch angerufenen Meisters: „Vergieb ihnen, Herr, sie wissen nicht, was sie thun!" In der That, die Bekenntnisse dieser schönen Seele bestärken uns darin, daß wir es lediglich mit einem blind-gläubigen, aller Menschenkenntnis baren, auf jede thörichte Erfindung anbeißenden, sensationstollen und großartig mystifizierten Konfusionsrat zu thun haben, der uns in anarchistischer Brühe ein Ragout von Übertreibungen, Morithaten, Räubergeschichten auftischt. Das alles als „ganz verbürgt", „wahrheitsgetreu" u. s. w., gerade so wie Lepsius es aus, „einem Briefe" oder von einem apokryphen „zuverlässigen Augenzeugen" hat; d. h. von den „zuverlässigen Augenzeugen", als welche die bis in den Grund ihrer Seele verlogenen Hintschakbrüder bekannt sind. Ein wilder, blinder, schonungsloser Haß gegen alles Türkische, eine pathologische Zärtlichkeit für die edlen armenischen Dulder, eine kindlich naive Ignoranz und Kritiklosigkeit, endlich das gänzliche Verschweigen der socialen, moralischen und politischen Ursachen der Massacres und die Aufstellung ganz willkürlicher falscher Prämissen: dies die Vorzüge der „Lepsiade".

Gewohnt, sich von Creti und Pleti, von jedem gekauften Agenten Bären aufbinden zu lassen, ist unser Pastor mit der Erklärung des Ursprungs der „Greuel" gleich bei der Hand; es ist auch die bequemste Erklärung: Die Armenier waren schuldlos wie Lämmer, nie ging von ihnen auch nur die geringste Provokation ans. Es war vielmehr der Wille des Sultans, die Armenier auszurotten (pag. 5), ein ganzes christliches Volk 1) in einem Strome von Blut und Verwüstung zu begraben - die „Massacres" selbst waren nichts als eine administrative Maßregel" (pag. 63) -, gerade als ob der Sultan ein Interesse gehabt hätte, Metzeleien zu veranstalten, die seinem Reiche so leicht verhängnisvoll werden konnten. „Eine faustdicke Dummheit", wie es Dr. Bernfeld in der „Zukunft" nennt. Aber es kommt besser. Die Beschreibung der armenischen „Massacres" selbst - Lepsius hat sie natürlich immer aus zweitem und drittem Munde, einer „verbürgter" als der andere - ist so drastisch, so pikant, so sensationell und gruselig, daß wir wetten, Pastor Lepsius hat daraufhin von mehr als einer Kolportage-Firma Aufträge auf Schauerromane à la Ponceau de Terrail erhalten, notabene mit mindestens 50 Toten pro Kapitel. In der „Lepsiade" giebt es nämlich Tote, Gespießte, Geröstete, Gehängte, Versengte zu Tausenden - das ist eine reine Blutschwelgerei, ein Brei von zuckenden Menschenleibern, ein Schauspiel für einen Nero oder... für Zuhälter und Demimonde. Schon die Titel der Abschnitte lauten unendlich knusperig: „Etwas für starke Nerven," „Blutbäder," eine „Liste von Schandthaten" u. s. w., und der Inhalt entspricht der Überschrift. Da geht es zu wie bei der Erstürmung von Magdeburg; ja um ein Haar wie bei den Großthaten des gottesfürchtigen Stanley, des christlichen Kongostaates und des noch christlicheren, ja allerchristlichsten Spaniens in Kuba und auf den Philippinen. Man fühlt sich, dank diesem Herrn Pastor, förmlich in eine christliche Inquisitions- und Kolonial-Atmosphäre versetzt! „Es ist keine Frage, die Abschlachtung der Armenier war für die Türken ein Fest. Mit Trompetensignalen begonnen, mit Prozessionen beschlossen, unter dem Gebete der Mollahs, die von den Minarets den Segen Allahs auf das Gemetzel herabriefen, vollzog sich das Ganze in bewunderungswürdiger Ordnung nach dem zuvor vereinbarten Festprogramm. Das einfache Totschlagen war zu langweilig, man mußte die Sache unterhaltender machen. Wie wäre es, ein Feuer anzuzünden und die Verwundeten darin zu braten, etliche an Pfählen, die Köpfe nach unten, aufzuhängen, andere mit Nägeln zu spicken, oder ihrer fünfzig zusammenzubinden und in den Menschenknäuel hineinzuschießen? Das Ausstechen der Augen, das Abschneiden der Nasen und Ohren wird zur Specialität ausgebildet..." (pag. 23. 24) In den türkischen Gefängnissen, von deren wirkliebem, geradezu idyllischen Zustande wir später hören werden, geht es nach Lepsius noch wilder zu, wenn auch noch lange nicht so wild wie in Santjago zu Manilla oder im Kastell von Montjuich in Barcelona. Manchmal hört man nämlich um Mitternacht aus allen Ecken des Gefängnisses weinendes und stöhnendes Schluchzen oder auch herzzerreißendes Geschrei: „Ich erfriere!" „Ich brate!" Kurz, es geht lustig fort im Sinne des entsetzlich schönen Liedes:

„So manche große Schreckensthat
Passiert noch heut' u. s. w."

oder nach dem andern nicht minder angebrachten:

„Das Erste wird gehängt,
Das Zweite wird versengt,
Das Dritte man erschießt,
Wenn man das Vierte spießt..."

Wie ernst es Pastor Lepsius mit der Kritik nimmt, erhellt auch aus den angeblichen Befehlen der Behörden von Arabkir: „Ein jeder Muhammedaner habe seinen Gehorsam gegen die Regierung dadurch zu bewähren, daß er zuerst… die ihm befreundeten Christen umbringe!" Ein Wahnsinn, der selbst für das Hintertreppen-Publikum zu stark sein dürfte. Aber „die Türken und Kurden" (L. wirft sie immer in einen Topf, obschon die Kurden Indogermanen, d. h. Vettern des Herrn Pastors, zum Teil sogar Christen, übrigens durchweg Nomaden sind, während die Türken seßhaft leben und Ackerbau treiben) – „Türken und Kurden" sollen besonders hinter den... Jungfrauen her sein, die Braute aber etwas mehr in Ruhe lassen. Ei der Tausend - da haben ja die Türken und Kurden beinahe denselben Geschmack wie gewisse fromme Kulturchristen, nur daß sich letztere längst nicht mehr mit dem Jungfernhandel der Pall Mall Gazette begnügen, sondern auch - bei allem Christentum - hinter Bräuten, ja sogar, Herr Pastor, hinter verheirateten Frauen her sind!!!

Die Unwissenheit, die aus dieser Mordchronik allenthalben hervorbricht, ist phänomenal. Der Autor verwechselt fortwährend Armenier und Christen überhaupt und spricht von „Christenverfolgungen", während er doch gleichzeitig zugeben muß, daß keinem Griechen oder Katholiken auch nur ein Haar gekrümmt wurde. Er fabelt von der „übermäßigen Steuerlast" der Armenier, während ein Blick in Moltkes „Türk. Briefe" (pag. 374) ihn darüber belehrt hätte, daß „die Rajahs nicht mehr zahlen als die Osmanli, außer der Kopfsteuer (zwei Thaler), während für die Muhammedaner die Konskription zu einer unerträglichen Last geworden ist". Er bemerkt jesuitisch, die Armenier hätten „nicht überall die Majorität" (und sie haben sie nirgends!) 2). „Dieselben erstreben nur ein menschenwürdiges Dasein" (und sie haben allen Großbesitz, alles Kapital in Händen - es sei denn, daß sie ihre edle Mission als „Krawattenmacher" nicht besonders menschenwürdig fänden?); „den Christen, und zwar nur den Christen, sei durch Staatsgesetz das Waffentragen verboten" (dabei raten wir niemand, bei einem Heiligenfest die Christenviertel türkischer Städte zu passieren, weil Tag und Nacht aus Revolvern und Flinten Freudenschüsse krachen!); er schwätzt – er, der Theolog, der es wissen müßte! - von einem „moslemischen Klerus", den es gar nicht giebt, imputiert dem „Scheich-ul-Islam" , einem Staatsbeamten, die Hoheitsrechte eines Papstes und schwindelt endlich - was am unverzeihlichsten, weil absurdesten - über „Zwangsbekehrungen" von 100 000 Armeniern, während der Koran schwarz auf weiß jede Zwangskonversion verabscheut und die Türken niemals Religionszwang ausgeübt haben. Gäbe es sonst heute überhaupt noch Christen im Osmanischen Reiche? Aber leider giebt es solche --leider, im Interesse des Reiches, wider Moral und Ehrenhaftigkeit, die im Orient nicht immer mit „Christentum" identisch sind.

Schließlich appelliert unser Mann Gottes als zweiter Bernhard von Clairvaux gar kräftiglich an „die bei dieser Frage beteiligte Ehre der Christenheit", phantasiert (gut gebrüllt, Löwe) von der nur von John Bull recht verstandenen „höheren Politik des Reiches Gottes, die über den selbstsüchtigen Interessen der Reiche dieser Welt steht", verweist auf die „unentwegt für Armenien kämpfenden Erweckungsblättchen (!) des Pfarrers Lohmann" und auf Dr. Rades „Christliche Welt" und giebt sieh der angenehmen Hoffnung hin, daß die christlichen Kaiser und Könige ihr Schwert nicht umsonst tragen, die Ehre Gottes und das Reich Christi im Auge behalten, „an der unter die Räuber gefallenen Christenheit des Morgenlandes ihre Pflicht thun" und - die Kastanien für England aus dem Feuer holen werden. Die arme „Christenheit", die unser Mitleid so voll und ganz verdient! muß doch ein allerneuster Forscher, Dr. Körte 3), betrüblicherweise vermelden: „der Durchschnitt der christlichen Bevölkerung steht ohne Zweifel unter den Muhamedanern; fast jeder, der mit dem Kern des Volkes in Berührung kommt, lernt die Türken achten und lieben, die Griechen geringschätzen, die Armenier hassen und verachten." Und weiter pag. 58: „Bis vor kurzem bestand die Bedrückung der Armenier wesentlich darin, daß sie die Türken aussogen und darin gelegentlich durch unbequeme Regierungsmaßregeln, z. B. das sehr verständige Verbot des Hausierhandels in den Dörfern, ein wenig gestört wurden." Kann unter sothanen Umständen noch irgend jemand daran zweifeln, daß die Hetzpfaffen recht haben?

A propos, das Pamphlet des teueren Gottesstreiters hat auch einige köstliche Stellen. Z. B. wo der Autor in seines Herzens Einfalt das „menschenfreundliche edle Volk von England" gegen den „abgeschmackten Einfall" armenischer Intriguen in Schutz nimmt und einen Preis für den Nachweis englischer Umtriebe aussetzt - einen Preis, den ich gleich im nächsten Kapitel für mich selbst in Anspruch nehmen werde. Köstlich ist ferner seine naive Indiskretion, die offiziellen Civilstandsregister der armenischen Bevölkerung seien völlig unzuverlässig, da eine große Zahl, um der Besteuerung zu entgehen, nicht registriert sei - zu deutsch: Steuerdefraudation, strafbar mit so und so viel Jahren Gefängnis. Nach unserem frommen Pastor aber ganz erlaubt; handelt es sich doch nicht um den christlichen Königl. preußischen Fiskus, sondern um den unchristlich-türkischen (den, notabene, fast durchweg Armenier verwalten). Den Vogel aber schießt Lepsius ab, indem er (wie oben bemerkt) ohne weiteres zugesteht, die armenische Frage sei erst in Europa künstlich gezüchtet worden - ein Geständnis, das natürlich das ganze Kartenhaus seiner „Beweise" und falschen Prämissen über den Haufen wirft. Hand in Hand damit geht die unchristliche Wut unseres Pastors gegen die paar englischen und amerikanischen Agenten und Missionare, die im Gegensatz zur großen Mehrzahl ihrer Kollegen nicht alles schön und gut finden, was die Armenier thun, die das Kind beim Namen, die „Empörung" „Empörung", und nicht „Massacre" nennen. Da wird der Berliner Pastor ganz rabiat, geifert gegen den englischen Konsul Williams in Wan, der „um die Gunst der türkischen Regierung gebuhlt und sich aus politischen Gründen (!?) der türkischen Auffassung von der Empörung angeschlossen habe", wie gegen dessen Helfershelfer, den amerikanischen Missionär Mr. Reynals, „der sich die günstige Gelegenheit nicht entgehen lassen wollte, sich bei den türkischen Behörden einzuschmeicheln".

Dies das Summarium der Lepsiade. Jedes weitere Wort über das absurde Machwerk wäre Verschwendung. Requiescat in pace!
* *
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Die Influenza des Armenierdusels steckte auch anderswo an - vielfach mit besserem Erfolge, als in Deutschland, wo dank der Einsicht Kaiser Wilhelms, der Regierung und der gebildeten Klassen die Seuche nicht fortkann. Vergebens stellte sich selbst der geniale Maximilian Harden - aus Lust am Paradoxen - in den Dienst der Türkenhetze und nötigte einem den Seufzer ab: „Es thut mir in der Seele weh, daß ich dich in der Gesellschaft seh'." In Frankreich drang das Evangelium der Blut- und Feuerchristen nicht widerspruchslos durch; nur in Italien, wo man trotz Macchiavelli jeden englischen Spleen als Ausbund irdischer Weisheit verehrt , kam eine richtige Pro-Armenia-Bewegung in Fluß. Die Presse half aus üblicher krankhafter Sentimentalität redlich mit, und es entwickelte sich eine Türkenhetze, die das Terrain für den späteren Operettenfeldzug Garibaldis II. würdig vorbereitete.

1) Das seit langen Jahrhunderten unangefochten und glücklich unter türkischer Herrschaft gelebt.

2) „Les Arméniens composent environ 16 % de la population totale de l'Arménie."
Hanotaux im französ. Parlament (3. Nov. 1896).

3) A. a. O. P. 52.

Hans Barth, Türke, wehre dich!, Leipzig 1898, S. 14-22


H. Barth: Türke, wehre dich!, Leipzig 1898, 5. Kap.: Aufstand, nicht Massacres.
V.
Aufstand, nicht Massacres.
(Beweise hierfür.)

Die praktischen Resultate dieser „protestantischen Propaganda" zeigten sich vor einigen Jahren zunächst in Marsovan, alsdann in Kum Kapu, wo der „Hintschak" Tumulte veranstaltete. Hier wie dort hatten die Missionare die aufrührerische Bewegung direkt veranlaßt und geschürt, so daß der mit einer Enquete beauftragte amerikanische Diplomat Newbury ihr Verhalten öffentlich brandmarkte. Auch v. d. Goltz („Anatolische Ausflüge") konstatiert in seiner ultra-vorsichtigen Weise, daß erst eine „von außen hineingetragene Agitation" Armenier und Türken verhetzt und ihre Zwietracht in hellen Flammen habe auflodern lassen. Auf wen sich das „von außen" bezieht, brauchen wir nicht weiter auszuführen.

Dafür, daß die Pastoren-Zöglinge nun Ernst machen, ihr wahnwitziges Ideal vom armenischen Zukunftsstaat. verwirklichen wollten, dafür besitzen wir aus den Jahren 1893 und 1895, und zwar ganz kurz vor dein Ausbruch der großen „Massacres", geradezu klassische Belege. Unter dem 23. Dezember 1893 (d. h. zu einer Zeit, wo scheinbar noch alles ruhig war) veröffentlichte der in „Armenien" thätig gewesene amerikanische Missionar Cyrus Hamlin im Bostoner Missionsorgan „The Congregationalist" den folgenden Warnungsartikel, den wir im Auszug wiedergeben, und dessen Autor ein Ehrenmann - einem förmlich die Augen öffnet:
"Eine gefährliche Bewegung unter den Armeniern

Das Missionswerk, wie die ganze christliche Bevölkerung gewisser Teile des türkischen Reiches leiden zur Zeit schwer unter der Propaganda einer armenischen Revolutionspartei. Es ist dies ein mit raffinierter, echt orientalischer Geriebenheit und Falschheit geleiteter Geheimbund. Am Ende eines weit verbreiteten Pampleths wird die folgende Ankündigung gemacht:

Revolutionäre Huntschak-Partei

Dies ist die einzige armenische Partei, die die revolutionäre Bewegung in Armenien anführt. Ihr Zentrum ist in Athen, sie hat ihre Zweige in jedem Dorf und jeder Stadt in Armenien, auch in den Kolonien. Nishan Garabedian, einer der Gründer der Partei, ist in Amerika, und diejenigen, die mit ihm in Verbindung treten wollen, um weitere Informationen einzuholen, können dies tun, indem sie sich an ihn unter Nishan Garabedian, No. 15, Fountain Street, Worcester, Mass. oder an das Zentrum, unter M. Bernard, postlagernd, Athen, Griechenland, wenden.

So wird mir von einem hochintelligenten Armenier, beredtem Verteidiger der "Revolution", versichert, dass alle Hoffnung vorhanden sei, Rußland den Weg nach Kleinasien und die Besitzergreifung des Landes zu ermöglichen. Auf meine Frage, wie dies möglich, erwiderte er: "Die Huntschak-Banden sind im ganzen Reiche organisiert und lauern nur auf die Gelegenheit, eine Anzahl Türken und Kurden zu töten, ihre Dörfer in Brand zu stecken und sich dann in die Berge zu flüchten. Voll Ingrimm werden sich darauf die Mohammedaner erheben, über die armenische Bevölkerung herfallen und sie mit solcher Barbarei niedermetzeln, dass Rußland im Namen der Humanität und der christlichen Zivilisation einrücken und das Land okkupieren wird." Als ich dieses Projekt als mehr denn entsetzlich und diabolisch bezeichnete, antwortete er mir ruhig: „Es mag Ihnen ohne Zweifel so scheinen, aber wir Armenier sind entschlossen, frei zu werden. Europa hat sich durch die bulgarischen Greuel erweichen lassen und hat Bulgarien frei gemacht. Es wird auch unseren Schrei hören, den Schrei, der sich aus dem Blut von Millionen unserer Frauen und Kinder erheben wird."

Vergebens suchte ich ihm begreiflich zu machen, dass ein solches Projekt den Namen „Armenier" vor der ganzen zivilisierten Welt beflecken werde. Er antwortete mir nur: „Wir sind verzweifelt, wir werden es tun." Ich: „Aber Ihr Volk will doch keine fremde Protektion. Es zieht die Türkei mit all ihren Mängeln vor. Gibt es nicht jenseits der Grenze ungeheure Gebiete, wohin die Armenier in all den Jahrhunderten der islamischen Herrschaft leicht hätten auswandern können? Zöge Ihr Volk die russische Herrschaft vor, es gäbe heute keine einzige armenische Familie mehr in der Türkei." „Ja", antwortete er, „und weil sie so töricht waren, sollen sie nun büßen."

Ich sprach noch mit anderen Armeniern, die ganz dasselbe sagten, aber keiner von allen gab zu, der Revolutionspartei anzugehören: Eine Heuchelei, die begreiflich ist wo, Mord und Brand herrschen. In der Türkei verfolgt die Partei den Zweck, die Türken gegen die protestantischen Missionäre und die protestantischen Armenier aufzuhetzen. Alle Unruhen von Marsovan [95] sind ihnen zuzuschreiben. Sie sind hinterlistig, prinzipienlos, grausam und terrorisieren ihre eigenen Landsleute, indem sie unter Todesdrohungen Geld von ihnen erpressen. Drohungen, die nur allzuhäufig ausgeführt werden.

Was ich hier in sehr abgeschwächter Weise veröffentliche, betrifft übrigens nur einige wenige der Schandtaten, welche Huntschak plant. Sie ist russischen Ursprungs. Russisches Gold und russische Machenschaften regieren sie. Mögen darum alle amerikanischen und ausländischen Missionäre, alle protestantischen Armenier den Huntschak überall rückhaltlos brandmarken! Diese Partei versucht, in jede Sonntagsschule [96] einzudringen und die Unschuldigen und die Ahnungslosen durch Täuschung als Unterstützer ihrer Machenschaften zu mißbrauchen. Als aufrichtige Freunde der Armenier müssen wir vermeiden, diese abscheuliche Bewegung scheinbar zu billigen. Obschon wahrscheinlich manche Armenier in diesem Land [97] aus Unkenntnis der wirklichen Ziele und der grausamen Pläne der Huntschakpartei und aus Patriotismus mit den Revolutionären gemeinsame Sache machen, müssen wir, obschon wir mit den Leiden der Armenier in der Heimat sympathisieren, dennoch vor jeder Berührung mit einer Sache warnen, welche die Vernichtung der protestantischen Missionen, ihrer Kirchen und Schulen herbeiführen muß und alle in einen gemeinsamen Untergang führen wird, der mit Geschick und Beharrlichkeit herbeigeführt werden soll. Mögen sich darum alle amerikanischen und ausländischen Missionäre jeder Unterstützung der Huntschakisten oder aller Allianzen mit ihnen, enthalten.

Lexington, Cyrus Hamlin"

Wie jämmerlich nehmen sich neben dieser schlichten, ehrlichen Erzählung jene lügenhaften, übertriebenen Mordgeschichten - selbst „Konsular-Berichte" - der späteren Jahre aus! Beweist Hamlin doch, daß die Aktion der Armenier, von den Geheimkomitees sorgfältig geplant und in ihren Details vorbereitet war - immer im Hinblick auf die oben erwähnte geheimnisvolle „fremde Macht", welcher „der Weg nach Kleinasien erschlossen werden müsse" und deren Hilfe so gut wie sicher. sei. Welche intimeren Beziehungen zwischen dem Hintschak und jener „Macht" geherrscht - das werden wir wohl erst erfahren, wenn einmal die englischen Armenier, die Irländer, nach berühmtem Muster die Londoner Geheimarchive überfallen und geplündert haben werden.

Aber die Zeit schreitet fort, und was Pastor Hamlin Ende 1893 als „Plan" bezeichnet, geht der ruhmvollen Verwirklichung entgegen. Daß eine E m e u t e, eine bewaffnete Erhebung der Revolutionskomitees und ihres Anhangs von Desperados unmittelbar bevorsteht, erfahren wir (die alte Dame Diplomatie hat dies natürlich verschlafen) aus einer Veröffentlichung des armenischen Revolutionsorgans „Haik" No. 15, vom 1. September 1895.

Drei Wochen vor Ausbruch der sogenannten „armenischen Greuel" schreibt dieses Blatt wörtlich:

„In der Überzeugung, daß die. Bemühungen Englands gescheitert sind, werden die Armenier sich nicht mehr zurückhalten dürfen. Es wird zunächst in Konstantinopel zu Unruhen kommen müssen, wo die Armenier ohne Furcht - denn eine erregte Menge kennt keine Furcht - die Offensive ergreifen werden. Bricht der Zorn dieser Masse (nämlich der aus dem Innern gekommenen armenischen Elemente) in seiner ganzen Furchtbarkeit gegen die türkische Regierung los, so werden die unmittelbaren Folgen davon sich nicht ermessen lassen. Das Einschreiten der Gendarmen wird die Menge gleichgültig lassen, man wird regelmäßiges Militär aufbieten müssen, gegen das sie sich mit Verzweiflung schlagen wird. Der Kampf wird lange währen und möglicherweise mit der Besetzung Konstantinopels durch die Mächte endigen... In der Provinz werden die Dinge indessen einen anderen Verlauf nehmen. Während in Konstantinopel die Armenier die Offensive ergreifen, müssen sie sich in der Provinz in. der Defensive halten, und zwar aus folgenden Gründen: Konstantinopel liegt unter den Augen Europas; die Türken werden deshalb, die Armenier daselbst nicht vollständig niederzumetzeln wagen. Die Mächte werden einschreiten, um so mehr, als sich eine bedeutende europäische Kolonie daselbst befindet. Anders in der Provinz, wo die türkische Bevölkerung ohne Furcht vor Europa über die Armenier herfallen kann. Trotzdem mögen sich die Armenier daselbst bewaffnen und bereit halten...

Auf alle Fälle werden in den bevorstehenden Aufständen viele Armenier, aber auch eine gehörige Anzahl Türken fallen, und die Anarchie in Konstantinopel, wie das Blutvergießen in den Provinzen werden schließlich Europa zur Intervention zwingen."

Die natürliche Folge dieser armenischen Blut- und Provokationspolitik scheint dein „Haik" die Teilung der Türkei, wobei den Armeniern die Unabhängigkeit winken wird, vorausgesetzt, daß sie vor Europa ihre Rechte zur Geltung bringen.

„Die Armenier von Konstantinopel halten heute das Schicksal Armeniens in ihren Händen. Ihre besondere Aufgabe ist es, Europa zu zwingen, sich mit unserer Sache zu beschäftigen und uns von der unmittelbaren Autorität der türkischen Barbarei (!) zu befreien... Die unerbitterliche Logik der Ereignisse hat unserer Nation die heilige Pflicht auferlegt, nunmehr mit sicherem Schritte zum Tode oder, zur Freiheit zu marschieren."

Bedarf es weiteren Zeugnisses dafür, daß es sich nicht um von Konstantinopel aus verfügte willkürliche Massacres handelte, sondern um einen lange geplanten, mit fremder - mindestens moralischer und pekuniärer - Hilfe ins Werk gesetzten ,,Aufstand" 1). Wer will es da den Türken verdenken, daß sie reagierten und den Störenfrieden eine Lektion erteilten, die leider nicht nur die Bösen, sondern wohl auch viele der Guten mittraf? Das armenische Volk kann sich dafür bei den Tollhäuslern des Hintschak und... dessen europäischen Hintermännern bedanken. Mußten Tausende von Armeniern den Wahnsinn der Hintschak-Brüder mit ihrem Leben bezahlen, so kommt ihr Blut vor allem auf die Firma Gladstone und Kompagnie, und sie verdienen einzig und allein den Namen der „großen Mörder".

1) Mr. Hanotaux im französ. Parlament (3. Nov. 1896): „Dès 1894, le pays était soulevé. Une répression, trop violente eut lieu."

Hans Barth, Türke, wehre dich!, Leipzig 1898, S. 28-33


H. Barth: Türke, wehre dich!, Leipzig 1898, 6. Kap.: Die Emeute u. ihre Unterdrückung
VI.
Die Emeute und ihre Unterdrückung.
(Tu l'as roulu, George Dandin, tu l'as voulu!)

Die Ereignisse nehmen genau den Verlauf; wie die Wahnsinnigen des Hintschak es in ihren Revolutionsorganen längst vorher festgesetzt. Es ist überall dieselbe Geschichte: Banden von Mordgesindel („Komitees") tauchen auf, greifen die nichtsahnende türkische Bevölkerung meuchlings an, verüben haarsträubende Greuel, stecken die Moscheen in Brand und reizen die Türken absichtlich bei ihrer empfindlichsten Stelle, der Religion. Darauf erfolgt natürlich eine Reaktion der letztern - selbstredend nicht mit Glacéhandschuhen -; die wütende Menge hält sich nicht lange bei der Unterscheidung von Friedfertigen und Halunken auf, und im Chaos der unvermeidlichen Blut- und Mordkatastrophen blüht der Weizen der niederträchtigen „patriotischen Sekte". Daß die große Mehrzahl der Armenier nicht aktiv an der Erhebung teilnahm, kann heute als erwiesen gelten nicht so, daß nicht viele unter ihnen in unbegreiflicher Massenverblendung wenigstens für das famose Ideal des Zukunftsstaates geschwärmt und konspiriert hätten. Jene närrische Vision, deren Erstrebung uns nicht. anders anmutet, als wenn heute die Frankfurter Judenschaft mit Hilfe von Dynamitbomben einen Putsch inscenieren, den Dom in eine Synagoge verwandeln und Herrn v. Rothschild im „Römer" zum König von Neu-Jerusalem krönen wollte. Daß die geriebenen armenischen Bankiers auf solchen Unsinn hereinfallen konnten - das erklärt sich für uns nur aus dreierlei Gründen. Aus der Furcht vor den Drohungen der Revolutionskomitees; aus der Üppigkeit, der finanziellen Sattheit der Herren, die keinerlei weitere Sorgen mehr im Kopf hatten als die Befriedigung ihrer Eitelkeit 1); endlich aus der jahrelang konsequent betrieben en englischen Suggestion, die - als scheinbar unanfechtbare Heilsäußerung Europas - bei den armen Asiaten schließlich zur Auto-Suggestion werden mußte. „Dieu le veut" ward gleichbedeutend mit „L'Angleterre le veut", und die Ernüchterung trat erst ein, als... die Londoner Mephistos die Opfer der Hetzpolitik ruhig ihrem Schicksal überließen, sich mit dem platonischen Rettungsversuche von Meetings begnügten und sich daran machten, andere - die Kreter - ans Messer zu liefern. Daß der den Aufrührern erteilte Denkzettel im Grunde nicht unverdient war, daß die Armenier nicht Opfer eines schuftigen Brigantenüberfalles waren, das hat jemand, der es vor allen anderen wissen mußte, nämlich der deutsche Botschafter in Konstantinopel, Baron v. Saurma-Jeltsch, dem Vertreter eines Berliner- Blattes gegenüber offen ausgesprochen: „Man kann es sich" - sagte der Diplomat - „nicht verhehlen. daß den Türken für ihr Vorgehen einiges Recht zustand. Ich halte die Forderungen der Armenier nicht für berechtigt und nicht für durchführbar. Sie sind schließlich eine Nation in der Türkei wie andere, sind Unterthanen des Sultans. Was sie zu beanspruchen das Recht haben, Kultusfreiheit und Erwerbsfreiheit, besitzen sie, und sogar in reichem Maße. Niemand stört ihre Religionsübungen, und wirtschaftlich geht es ihnen zumeist außerordentlich gut. Es ist gar nicht zu leugnen, daß ihre rücksichts- und schamlose Art des Erwerbs viel böses Blut unter den Türken gemacht hat, sie haben jahrhundertelang die Türkei geradezu ausgeplündert, sie sind Wucherer und unehrlich." Äußerungen, die schließen lassen, daß bei dem Grimm der Türken sich wohl auch Motive socialer Natur geltend machten. Gewiß hatten ja die tiefer im Innern wohnenden Armenier vielfach unter der Willkür kurdischer Nomaden zu leiden, die das friedfertig-gesetzliche Expropriations-Prinzip ihrer armenisch-indogermanischen Vettern 2) in ihre drastischere Weise, das wucherische Rupfen ins derbe Plündern übersetzten - aber teilten sie dies Schicksal nicht mit der fest-ansässigen türkischen Bevölkerung? Auch der Türke hatte sich ja voll jeher mit den Nachkommen der raublustigen alten „Gordyäer" herumzuschlagen, deren „Islam" (viele von ihnen sind überhaupt Christen) kaum mehr wert ist als das „Christentum" der Armenier. Männiglich weiß auch, daß die türkische Regierung aus dem Kriegszustande gegen die Kurden eigentlich gar nicht herauskommt und daß selbst Moltke dereinst an einer Strafexpedition teilnahm. „Es; ist" - schreibt er in den „Türk. Briefen" - „der Pforte nie gelungen, in diesen Bergen alle erbliche Familiengewalt so zu Boden zu werfen wie in den meisten übrigen Teilen des Reiches. Die Kurdenfürsten üben eine große Macht über ihre Unterthanen aus, sie befehden sich untereinander, trotzen der Autorität der Pforte, verweigern die Steuern, gestatten keine Truppenaushebung und suchen ihre letzte Zuflucht in den Schlössern, welche sie sich im hohen Gebirge erbaut." Angesichts des grundverschiedenen Charakters von Osmanli und Kurden ist darum auch hundert gegen eins zu wetten, daß - wo wirklich Grausamkeiten vorkamen - sie das Werk kurdischer Nomaden oder... armenischer Revolutionäre waren. Türken und Kurden aber unter der Etikette ,,Muhammedaner" in einen Topf zu werfen, ist nur eine der angloarmenischen Flausen.

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Als Vorläufer ihrer „Renaissance", als ihren Nationalheiligen erster Klasse (den die Türken hoffentlich mittlerweile dorthin befördert, wo ,,Heilige" insgemein zu residieren pflegen) können die Armenier einen gewissen Hampartzun aus Adana verehren, der in Konstantinopel Medizin studierte, um später bald in Genf, Athen, London, bald wieder im Vilajet Bitlis aufzutauchen und mit beredtem Hinweis auf die „englische Hilfe" Aufruhr zu predigen. Zuguterletzt schlug er sich 1894 gen Sassun in die Büsche, allwo er an der Spitze einer Räuberbande eine Reihe armenischer Dörfer aufwiegelte und mit 3000 Bauern sengend, brennend und mordend durchs Land zog. Besagter Freiheitsapostel, der sich (war er doch Arzt) besonders darauf kapricierte, schwangeren Türkenfrauen die Frucht aus dem Leib zu schneiden, wurde endlich bei Hedink von den Truppen umzingelt und gefangen genommen. Bei ihm und seiner Bande fand man Briefschaften englischer Provenienz. Sollten auch ein englischer Reisepaß und ein Handschreiben des „grand old man" darunter gewesen sein? Es würde uns nicht wunder nehmen, denn der englische Ober-Pharisäer war bekanntlich mit seinen Seelenergüssen auch an kretische und thessalische Banditen nicht sparsam.

Auf die Vorgänge von Sassun folgt (wir resümieren kurz) im Herbst 1895 die bewaffnete Demonstration von Konstantinopel und dieser alsbald das Attentat von Trapezunt. Hier überfallen und verwunden die Verschworenen, getreu den Instruktionen des Hintschak, am 20. September (alten Stils) den Platzkommandanten Hamdi Pascha und den zufällig anwesenden Bahri Pascha und feuern auf die muselmanische Bevölkerung. Die Unruhen dauern mehrere Tage. Gleichfalls am 20. September Revolten im Vilajet Hundavendikiar. Am 26. September meuchlerischer Überfall der unbewaffneten türkischen Bevölkerung in Aka Hissar (Vilajet Ismid); eine im Vilajet Erzerum eingefangene Bande von 60 Mann unter einem gewissen Lerope trug absichtlich türkische Kleidung; ihre Instruktion war (laut den bei ihr gefundenen Papieren), möglichst viele Schandthaten zu begehen, um dadurch „Europa zur Intervention zu bewegen". In einem Kloster bei Kemalik Karni - dem Hauptquartier der Bande - entdeckt man ein Depot von Waffen, Munition und Bomben. Im ganzen Vilajet übt der Hintschak auf die Armenier eine Politik des Terrorismus aus; er läßt die dein Aufruhr Abgeneigten ermorden und verbietet den Notabeln bei Todesstrafe, in die von Schakir Pascha zusammenberufenen Reformkomitees einzutreten. Am. 13. November Überfall der Moscheen von Bitlis durch armenische Meuterer. Zwei Tage vor den Unruhen räumen die Armenier den Bazar und schaffen ihre Waren nach Hause; der englische Missionär Georges hetzt öffentlich das Volk auf, indem er versichert, die Regierung werde sechs Vilajets an den armenischen Zukunftsstaat abtreten. Blutig Unruhen in Zile, Vilajet Sivas. Die moslemische Bevölkerung nimmt sich indessen nach Niederwerfung der Revolte barmherzig der Verwundeten und der Waisen an. Auch im Vilajet Diarbekir schlagen die Aufrührer los; in Diarbekir selbst - wo der Putsch von einem gewissen Konsulat geschürt wird und wo dieselben albernen Gerüchte ausgesprengt werden, wie in Bitlis - greifen die Mitglieder des Hintschak Moscheen, Bazar und Türkenquartier an. Bomben und Petroleum treten in Aktion, viele Türken werden getötet, aber schließlich wird die Mordbrennerbande unschädlich gemacht. Elf Tage darauf zünden die Armenier den Bazar von Server an und verbrennen alle darin befindlichen Türken lebendigen Leibes. Der Brand- und Plünderungsschaden im Vilajet Diarbekir allein übersteigt 200000 türkische Pfund (à 23 fr.); mehr als 2/3 davon kommen auf türkisches Eigentum! In Adana und Tarsus Bombenfunde. Im Vilajet Aleppo (und zwar Alexandrette) sind die Intriguen eines gewissen Konsuls öffentliches Geheimnis und die Hintschakisten gehen im Konsulat ein und aus. Am 21. November versucht dort ein Missionar L. dadurch Unruhen zu stiften, dass er sein eigenes Haus zweimal anzündet, um die Türken der Brandstiftung zu beschuldigen - der im Entstehen begriffene Aufstand wird indessen von den Behörden im Keime erstickt. In demselben Monat November endlich die sattsam bekannte Infamie von Zeitun, welche die protestantischen Missionare dadurch feiern, daß sie ungestraft Schulen und öffentliche Plätze illuminieren! Die Krawalle von Konstantinopel und das Bombenattentat auf die ottomanische Bank setzen dem Vorbereitungswerk zum armenischen Zukunftsstaate die Krone auf.

Ist es da nicht begreiflich, daß die Repression seitens der aufs äußerste gereizten Türken die im Armenier nicht mehr nur den erbarmungslosen Vampyr und Rivalen, sondern auch den politischen Reichsfeind, den Revolutionär und Anarchisten erblicken mußten - eine furchtbare war? daß die Repressalien dem Angriff entsprachen? daß Tausende von Armeniern der gerechten Volkswut zum Opfer fielen? Worüber natürlich im ganzen hysterischen Europa, insonderheit in Heuchelland, tiefe sittliche Entrüstung:

„Cet animal est bien méchant,
Quand on l'attaque il se défend!"

1) Bei dem reichen Armenier Apik Efendi, dem Großbankier des Hintschak, fand man u. a. Apiks Photographie in phantastischer Ministeruniform, die Zeichnung einer armenischen Krone mit Adler, ein vom Direktor der Schule von Galata verfertigtes Gedicht auf Apik Efeudi, der darin als Beschützer und Seele der armenischen Revolution und als Minister der Nation in flammenden, aufrührerischen Worten gefeiert wurde: den Plan des zukünftigen Armeniens u. s. w.
2) Zahlreiche wandernde Kurdenelans sind nach den neuesten Forschungen armenischer Abkunft. Volksmischungen zwischen Armeniern und Kurden betrachtet der armenische Schriftsteller Abowian besonders in den Araratgegenden als unbestreitbare Thatsache.

Hans Barth, Türke, wehre dich!, Leipzig 1898, S. 33-40


H. Barth: Türke, wehre dich!, Leipzig 1898, 7. Kap.: D. Verbrechergalerie d.Hintschak
VII.
Die Verbrechergalerie des Hintschak.

Es ist eine reizende Gesellschaft, die wir in dem armenischen Helden-Pantheon, alias Panoptikum, begrüßen dürfen: neben dem illustren Hampartzun die nicht minder illustren und heldenmütigen (wenn auch im kritischen Moment stets glücklich entwischten) National-Heroen Daniel, Garo, Damadian u. a. Fast alle im Geiste englischprotestantischer Missionare großgesäugt, deren Lehren sie nicht minder Ehre machen, als dem edlen Vorbilde... Jack the Rippers. Im Bauchaufschlitzen gebührt die Palme unstreitig dem schon erwähnten großen Hampartzun, der das schöne Princip hatte, die gefangenen Türken zu foltern, lebendig zu verbrennen und insonderheit den schwangeren Türkenfrauen den Leib aufzuschneiden. Nebenbei ließ Held Hampartzun wohl auch den armen Tropfen die Ohren abschlagen, die Augen ausreißen, sie auf ein Kreuz aufnageln und schließlich durch in den Bauch praktiziertes Pulver in die Luft sprengen. Ein Schauspiel für Götter und natürlich auch für... christliche Humanitäts-Mucker. Ein großer Mann - des Wachsfigurenkabinetts neben Tropmann, Ravachol und Dr. Jameson würdig - war ferner der Patriot Daniel, der Führer der berüchtigten „Bande vom Berge", die unter englischer Ägide gebildet worden und zahllose Greuelthaten auf ihrem Konto hatte. Schon 1893 wegen der Ermordung des Bürgermeisters von Isidur, eines Zaptié und eines Kaufmanns zum Tode verurteilt, hielt Daniel das Vilajet Sivas fortgesetzt in Angst und Schrecken und schlachtete nach und nach, langsam und mit ästhetischem Genusse, den Substituten des Staatsanwalts von Kara Hissar, einen Korporal, den Postmeister von Tschorum und sechzehn Muselmanen von Sahar Dag, worunter zwei Frauen, ab. Dies nur einige seiner persönlichen Verdienste - die seiner Bande waren natürlich entsprechend größer. Der biedere Daniel wurde, zu seinem Unglück, am 6. Dezember in Kotschkin abgefaßt, und trügt nicht alles, so haben die Türken zu ihren früheren „Schandthaten" eine neue hinzugefügt und den edlen Freiheitskämpen baumeln lassen. Auch die übrigen Streiter vom Hintschak sind - Europa, begeistre dich! - meist gute Protestanten oder Anglikaner, zu denen die Scheusale aller Zeiten und Länder, die ganze Armee von Lombrosos „delinquenti nati" mit scheuer Bewunderung aufblicken dürfen.

A propos: „Hintschak". Wir haben dieses „heiligen Bundes", dieser scheinbar im Dienste des armenischen Reichsgedankens, thatsächlich jedoch im Dienste englischer Interessenpolitik stehenden Rotte Korah wiederholt gedacht, so anläßlich der interessanten Enthüllungen Mr. Hamlins. Der zweifellos direkt auf englische Veranlassung und mit englischem Beistande, d. h. als englisches Werkzeug, im Orient begründete Geheimbund besitzt eine vortreffliche Organisation nach dem Schema der italienischen Carbonari und hat Komitees in Konstantinopel, Tiflis, Odessa, Marseille, Genf, New York und London - hier das, wie es scheint, unmittelbar mit offiziellen Kreisen Fühlung unterhaltende, von diesen mit Instruktionen, Geld und Reisepässen versehene Centralkomitee, von dem alle nationalen Heldenthaten, Putsche, Attentate u. s. w. ausgehen - auch das famose Bankattentat. Zweck des Bundes - wie die Mitglieder ihn auffassen - ist die „Befreiung vom türkischen Joche" und die Herstellung eines unabhängigen Reiches Armenien, wo natürlich alle Patrioten sofort Minister, Staatsräte, Generäle und Geheime Kommerzienräte mit enormen Gehältern werden. Daß das sog. „Armenien" nach Hanotaux nur etwa 16 % Armenier enthält, daß alle vernünftigen Leute, selbst der ehrliche Lord Dufferin 1), die Schaffung eines solchen Staates für eine geographische Unmöglichkeit erklären, daß ein armenischer Nationalstaat ein nur von Wucherern, Börsianern, Bankiers und Krämern bewohntes Eden wäre - das thut der Sache weiter keinen Abbruch. Wie vor fast 200 Jahren - 1724 - eine armenische Clique unter dem Perser Israel Ori die „Krone" des imaginären „Reiches Armenien" den Kurfürsten Johann Wilhelm von der Pfalz anbot, ebenso wird über des Bären Fell wieder heutzutage verhandelt. Ist der Zweck des Bundes wahnsinnig und visionär, so ist seine Organisation, seine Taktik dagegen im höchsten Grade praktisch. Das System der sogenannten „Arbeitergroschen" ist hier im Großen nachgeahmt und dem dicken Geldsacke der armenischen Haute Finance angepaßt. Die Statuten des Revolutionskomitees besagen im Wesentlichen: „Jedes auswärtige Mitglied zahlt ein halbes türkisches Pfund jährlich, jedes wirkliche Mitglied nimmt jährlich mehrere Anteilscheine von fünfzig Pfund pro Stück. Männer und Frauen sind gleichberechtigte Mitglieder. Jedes derselben muß über 21 Jahre und dem Komitee als national gesinnt bekannt sein. Die Administration besteht aus einem Präsidenten, einem Vicepräsidenten, einem Kassierer, Schreibern und Agitatoren. Alle beziehen ein festes Gehalt. Die Mitglieder, welche sechs Jahre hindurch jährlich sechs Anteilscheine nehmen, werden Ehrenmitglieder." „Ehrenmitglieder" des Dolch- und Bombenbundes Hintschak gegen Anteilscheine, und festes Gehalt für die Herren Verwaltungsbeamten! Giebt es praktischere, zielbewußtere Revolutionäre? Die Kampfweise des Hintschak ist - wie allbekannt - die des „politischen" Brigantaggio, des Meuchelmordes, des feigen Überfalls von Dörfern und Städten, der Bombe... Die Landsleute, die nichts davon wissen wollen, die regierungstreu sind und sich weigern, Tribut zu zahlen, werden schlankweg ermordet. Fast in keinem Vilajet waren die armenischen Notabeln zur Beteiligung an den Reformkommissionen zu bewegen, weil sie die Rache der überall wachenden Sekte fürchteten. In Gazian (Vilajet Erzerum) wurden der Notable Agadjan und sein Bruder getötet, weil sie gewagt hatten, in das Komitee einzutreten; in der Kirche zu Bajasid wurde aus demselben Grunde der regierungstreue gregorianische Pfarrer, in Garabed (Vilajet Sivas) sogar das Haupt, der protestantischen Gemeinde, Merzifan, erdrosselt, und so fort. Ja, bis nach Rußland hinein wütete und wütet zum Teil noch heute jener Terrorismus, wie denn das Militärgericht von Tiflis über eine Reihe von Meuchelmorden zu urteilen hatte, begangen an vermöglichen Armeniern, die dem Hintschak finanzielle Zuschüsse verweigert. Ein Akt, der in den Augen der um seine festen Gehälter besorgten Oberleitung des Bundes ganz besonders abscheulich erscheinen mochte. Die mit so gutem Erfolg gegen die eigenen Landsleute angewandte Einschüchterungstaktik wurde übrigens auch gegen Europa versucht und „an die Mächte" Proklamation auf Proklamation versandt, eine immer wahnwitziger als die andere. Im Oktober 1896 hieß es u. a.:
„Nein! Ihr habt nur daran gedacht, die Interessen des Tyrannen zu wahren, Ihr habt nur danach getrachtet, die Anstrengungen des Volkes, das seine Ketten zu sprengen versuchte, zu vereiteln. Und weshalb beschützt man den Despoten vor den Unterdrückten? ...

Wenn noch einmal so viel unschuldiges Blut vergossen werden sollte, dann werden wir wirksamere Mittel ausfindig zu machen wissen. Wir bereiten einen anderen, besser erdachten Aktionsplan vor, der sicher sein Ziel erreichen wird, und wir werden nicht die Einzigen sein, die seine Konsequenzen zu tragen haben werden. Um so schlimmer, wenn es dazu kommen sollte! Inzwischen aber entrollt sich vor unserem Gewissen, vor unserem verzweifelten Geiste und unseren haßerfüllten Blicken ein verbrecherischer Plan, der uns erschaudern macht, den wir aber für erlaubt erachten.

Wenn die Armenier nicht das Recht haben, ein ruhiges und friedliches Leben zu führen (!), dann werden sie allen ihren Feinden zum Trotz sich dieses Recht zu erringen wissen.
Heute mir - morgen Dir!"

Über die Taktik des Hintschak gegen die Türken - die es um jeden Preis aufzustacheln, zu provozieren galt - ist schon früher berichtet worden. Hier gedenken wir nur noch kurz der Triumphe von Marasch und Zeitun. Erstere Stadt wurde im November gleichzeitig an drei Stellen angezündet, so daß 700 Häuser niederbrannten, und zahlreiche Muselmanen in den Flammen umkamen.

Ebenfalls im November begann die glorreiche Iliade der Helden von Zeitun, die zunächst eine Reihe von Dörfern der Umgegend (Beschan, Kurtel, Kurtler u. a.) anzündeten, die Männer ins Feuer warfen, den Weibern die Brüste abschnitten u. dgl. Am 21. November Niederbrennung von Mehle-Islam und Ermordung der ganzen Einwohnerschaft, selbst der Kinder. Am 24. November Brandlegung von Denir und Sari mit zusammen 500 Häusern und 266 Toten (darunter 16 Frauen). Greuel wie oben. Der den Scheusalen in die Hände gefallene Lieutenant Hassan Aga muß zuerst der langsamen Ermordung seiner drei Kinder, der Vergewaltigung und Abschlachtung seiner Frau beiwohnen, dann sprengt man ihm die Augen mittelst Pulver aus dem Kopf und zerstückelt ihn piano piano. Im Dezember Massacre der gesamten bereits früher gefangen gesetzten moslemischen Bevölkerung von Zeitun, wie der Garnison. 150 aus der Umgegend eingebrachte türkische Frauen und Mädchen werden geschändet, dann gefoltert, ermordet und ihre Leichen, an die der Soldaten gebunden, ins Wasser geworfen... Daß die Aufrührer hilflose türkische Verwundete in christlicher Liebe aufgenommen, daß sich hei ihnen überhaupt je eine menschliche Regung gezeigt hätte, haben wir nicht vernommen. Kein gutes Zeichen für ihre europäisch-christliche Erziehung! Immerhin drang nun, trotz allen englischen Vertuschungsversuchen, auch über die armenischen Greuel manches nach Europa; ja, selbst das englische Blaubuch mußte, natürlich voll warnenden Tadels, auf die „unheilvolle Thätigkeit der armenischen Revolutionskomitees" hinweisen, die „sehr aktiv wären, die Behörden provozierten und ihre eigenen Landsleute terrorisierten", und es stellte nach dem Bericht des Konsuls von Wan fest, „die fanatischen Ausbrüche der letzten Jahre seien ohne Zweifel zum großen Teil eine Folge der sinnlosen und verbrecherischen Handlungen einer Handvoll Revolutionäre gewesen, die von einem Centralkomitee im Ausland dirigiert und kontrolliert wurden".

Die unvergleichlichste Haupt- und Staatsaktion des „Hintschak" aber bestand in dem echt anarchistischen Attentat auf die Banque Ottomane, worin, wer Augen hatte zu schien, die Hand des... großen Unbekannten erblicken mußte. Welchen Jubel dieser „tapfere Handstreich" in Heuchelland und seinen Dependancen entfesselte! Beinahe wie bei dem Überfall auf Transvaal! Wie die diplomatische Intrigue am Goldenen Horn selbst so glücklich bestrebt war, dem agierenden Gesindel in die Hände zu arbeiten, wie sie den Militärkommandanten von Galata, Mustafa Pascha, künstlich hinderte, den im Bankpalais eingenisteten Flibustiern direkt zu Leibe zu gehen 2), wie sie später den Attentätern, gegen alles Völkerrecht, freien Abzug erwirkte 3), - wer in alledem nicht englische Umtriebe sieht, wer nicht den „coup de main", den Banditenstreich der Garos & Komp. - als Pendant des berüchtigten Transvaal-Attentats erkennt, dem ist mit keiner kalten Douche mehr zu helfen. Am widerwärtigsten aber führen sich gewisse stock-humanitäre englische Blätter auf; namentlich der Gladstonische „Daily News" enthüllt uns einen wahren Abgrund von Gemeinheit. Nachdem das treffliche Blatt zuerst seinem Publikum die übliche Mahr aufgebunden, der Dynamitanschlag sei das Werk des Sultans selbst gewesen, bringt es zwei Nummern später eine ausführliche Unterredung mit den „Herren" Garo und Hratsch, den Urhebern des Anschlags, die dem Berichterstatter des englischen Organs alles offen bekannten und dabei mehrmals in fröhliches Lachen ausbrachen, wenn sie der krassen Ereignisse gedachten.
Es wurde dem Berichterstatter erzählt, daß einer der Genossen bei dem Überfall auf die Bank, ein gewisser Papkinsuni, der dabei umkam, vorgeschlagen hatte, ganz Konstantinopel niederzubrennen. „Herr" Hratsch verglich ihn lobend mit Marat und bemerkte dabei: „Marat, wie die wissen, sagte: das einzige. was man thun muß. ist. zu töten. zu töten. zu töten." Indessen sei Papkinsunis Vorschlag der gänzlichen Niederbrennung von Konstantinopel nicht angenommen worden. Man habe das für zu grausam gehalten. „Wir erwähnen dies nur," sagte Herr Hratsch, „um Ihnen zu zeigen, daß wir im stande waren, ganz Stambul niederzubrennen, das lediglich aus Holz erbaut ist. Es ist das sogar leichter als die Einnahme der Ottomanischen Bank. O ja, tausendmal leichter!" „Und dabei brach er in ein Gelächter aus, in das wir," fügt der Berichterstatter der „Daily News" hinzu, „alle einstimmten." „Herzlich" einstimmten, hätte der fromme Cyniker ruhig sagen mögen. Denn es ist und bleibt die alte Geschichte: Kratzt den Engländer, und... der uneigennützige Menschenfreund kommt zum Vorschein.
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Die drastische Volksrache der türkischen „Knüttelmänner" - eine schwache Antwort auf den Bombenregen aus der Banque Ottomane 4) - erschien daher begreiflich, und überall begannen die armenischen Sympathieen bedenklich zu schwinden. Der stets ruhig und richtig urteilende Botschafter Deutschlands, Baron Saurma-Jeltsch, nahm keinen Austoß, zu einem Vertreter der Presse zu äußern:
„Die Armenier, die Bomben geworfen haben, sind Desperados, verzweifelte Leute, zum Äußersten entschlossen. Sie verlangen für sich eine Autonomie, sie wollen politische Rollen spielen und sie sind entschlossen, wenn man ihnen nicht in der Türkei die politischen Zügel überläßt, nachdem sie die wirtschaftlichen an sich gerissen, wenn Europa ihnen nicht zu ihren Forderungen verhilft - und es kann ihnen nicht dazu verhelfen -, alle in der Türkei lebenden Christen, alle hiesigen Europäer ins Verderben zu reißen. Daß der Sultan gegen offenkundige Rebellen einschreitet, ist sein Recht und kann ihm nicht verwehrt werden, solange er der anerkannte Herr im Lande ist… Die Führer sind meist ehrgeizige junge Leute, die als Studenten in Genf von den anarchistischen Ideen angesteckt sind."

Und Mr. Hanotaux - gewiß kein Türkenfreund mußte im französischen Parlament wohl oder übel erklären:

„Faut-il rappeler l'audacieuse attaque de la Banque Ottomane qui rouvrit l'ère des massacres? Il faut que les Armèniens se persuadent que la violence ne saurait avancer leurs affaires."

Selbst der armenische Patriarch versicherte de- und wehmütig jedem, der es hören wollte, die letzten Wirren seien lediglich das Werk einer elenden Clique gewesen, und die Armenier wünschten nichts sehnlicher, als in aller Ewigkeit unter dem wohlthätigen Scepter des Padischah zu leben.

Und er war gut, der heilsame Schreck, den die „Knüttelmänner" der heuchlerischen Völkerbeglückungsgesellschaft eingejagt hatten. Kein Volk, das nur noch einen Funken von Selbstgefühl und Lebenskraft besitzt, hätte in der That Provokationen wie die des Bombenattentats ungeahndet gelassen, gleichviel, ob dabei auch Schuldlose untergingen oder nicht. Das war bedauerlich, aber kaum zu vermeiden. „Tout comprendre c'est tout pardonner."
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Wie im Extrakabinett einer Jahrmarktsbude stoßen wir, wenn wir die Personen des armenischen Stücks Revue passieren lassen, auf eine ganze Kollektion von Galgengesichtern - jene Species, (die in Afrika „Neger tauft", ohne ihnen die Menschenfresserei abzugewöhnen… jene Individuen, von denen der Konstantinopeler Brief eines Berliner Blattes so scharf bemerkt: „Die Herren, die damit (d. h. mit der Idee eines armenischen Sonderstaates) zuerst vor die Welt getreten, waren Fremde, Ausländer, waren politische Emissäre fremder Mächte im Priester-, beziehungsweise Lehrerkleide, denen jedes Mittel und jede Gelegenheit gut genug erschien, um die Verwickelungen im Orient um eine zu vermehren und die famose orientalische Frage nicht einschlafen zu lassen. Es waren mit fremdem Gelde ausgerüstete Missionäre im eigentlichen Armenien; und es waren Jugendlehrer in der Hauptstadt des türkischen Reiches selber, welche sich nicht entblödeten, auf ihrem ihnen vom Staate überlassenen Grunde eine Statte zu errichten, wo unreifen Köpfen die Lehre von dem Selbstbestimmungsrecht nicht nur, sondern auch der Haß gegen die Türken als Herren und als Muhammedaner systematisch gepredigt wurde! Und die hier auferzogenen Jünglinge, die ihr Vaterland nie gesehen, mit ihrem Volke nie in Berührung gekommen sind, wollen heute die „von der Nation getragenen Vorkämpfer" für ein selbständiges Armenien sein... Aber die Propaganda ist ja nur ein Mittel zum Zwecke, möglichst viel Unzufriedenheit zu säen, um dann im Trüben zu fischen.

Auf jene aber füllt die Schuld, wenn wir wieder von Unruhen, Aufständen und Massacres hören werden, auf jene, wenn die Stimmung im Volke nach und nach zu Ungunsten aller nicht mosleminischen Elemente umschlägt."

Da sind sie alle, die teuren Seelsorger, die werten Lehrer der aus Robert College und ähnlichen Instituten hervorgegangenen, durch ausländische Pässe geschützten Heroen, der einundzwanzigjährigen Kanaille Garos mit dem „heiligen Lachen", seines Blutsfreundes Hrant (achtundzwanzig Jahre alt), seines Sassuner Mörder-Kollegen Damadian u. s. w. Da sind sie, die schwarzröckigen Sendlinge des frommen Albions; „an ihren Werken sollt ihr sie erkennen!": Reverend Georges, der die Armenier von Bitlis unter allerhand Vorspiegelungen und Lügen ins Verderben hetzt. Da ist der Reverend L., der. Mordbrenner, der insgeheim sein Haus in Brand steckt und dann laut um Hilfe zetert, weil die Türken es ihm angezündet hätten: da ist der fromme Diener des Wortes, den die Türken am 23. Oktober in Silvan (Diarbekir) am Wickel fassen, worauf die Unruhen wie durch Zauberschlag aufhören; da ist der zwar nicht englische, aber im englisch-bigotten Geist erzogene Schullehrer Hamusch Abraham, der - wie sein Kollege Georges - gefährliche Lügen unter den Armeniern verbreitet. u. s. w. Zwischen Lehrer und Schüler, wie man sieht, wenig Unterschied - Par nobile fratrum!

1) Rede beim Lord Mayors-Bankett in Belfast.

2) Mustafa Pascha zum Korrespondenten des „Berliner Tagebl.": „Mein erster Gedanke war, wie vertreibe ich die aus den Fenstern fortwährend schießenden und von der Terrasse zeitweilig Bomben werfenden Eindringlinge aus der Bank? Alle Straßen ringsum ließ ich schleunigst cernieren, ich selbst aber erbat mir von den Beamten der Wassergesellschaft die Erlaubnis, von der äußerst hoch gelegenen Terrasse des gerade dem Bankgebäude gegenüber befindlichen Gebäudes der Wassergesellschaft den Kampf gegen die Revolutionäre aufnehmen zu dürfen. Zu meinem großen Leidwesen wurde mir die erbetene Erlaubnis unter den nichtigsten Ausflüchten - verweigert, und ich mußte ohnmächtig zuschauen, wie mit jeder Minute die Gefahr für uns alle sich vergrößerte. Durch das lange hingezogene Kämpfen um die Bank, durch das fortwährende Bombenkrachen und Schießen wurde eine heftige Erregung hervorgerufen, die sich- wie ein Blitz durch die ganze Stadt verbreitete und alle Schichten der niederen Bevölkerung ergriff. Wäre der Kampf sofort beendet worden, so wäre es sicher zu keiner größeren Ausschreitung gekommen. So aber wuchs die Erregung von Stunde zu Stunde, und jeder Beschwichtigungsversuch wurde durch die Schüsse niedergeschmettert. Hätte ich also den Bankputsch im Keime ersticken dürfen, dann Wäre für Europa jeder Grund entfallen, für Dynamitarden, für Räuber und Mörder Partei zu ergreifen, - die armenische Frage wäre gewesen."

3) Zu Eduard Mygind äußert ein armenischer Bombenmann: „Für mich hegen Sie keine Besorgnisse! Hier ist mein englischer Paß; wehe, wer mir ein Haar krümmt. Mir kommen die herrlichen Kapitulationen gerade recht, sonst möcht's mir trotz aller meiner Vorsicht hier schief gehen. Wir nennen uns zwar armenisches Revolutionskomitee, der Name hat aber nicht mehr Berechtigung, als wenn man von einem spanischen oder russischen Komitee spricht: damit wird nur der Hauptzweck, nicht die Zusammensetzung gemeint, denn wir sind international, und Armenier sind nur wenige unter uns; selbst nicht alle unsere Agenten sind Armenier. Mit dem ersten Schritte auf dem Wege der Gewalt hätten wir uns die Sympathien der revolutionären oder, wenn Sie wollen, anarchistischen Komitees erworben, heute sind wir eng mit ihnen verbunden; wir haben eine geheime Organisation nach anarchistischem Muster.
(„Berl. Tageblatt", Nr. 447)

4) General v. Grumbkow-Pascha meint: „Knüttel bleiben eben doch immer Knüttel und Bomben immer Bomben. Übrigens gab es auch in Europa Fälle genug, wo man Bürger bewaffnen mußte, um die von anderen Bürgern gestörte Ordnung wiederherzustellen."

Hans Barth, Türke, wehre dich!, Leipzig 1898, S. 41-53


Daß es nichts Ungerechteres, Dümmeres und Widerwärtigeres in der modernen Geschichte giebt als den Massenwahnsinn der periodisch wiederkehrenden Türkenhetze; daß es im türkischen Reiche niemals eine "christliche Frage", niemals irgendwelche, auch nur die geringste Bedrückung und Verfolgung von Christen ihres Glaubens willen gegeben hat; daß die armenische Frage von Europa künstlich gezüchtet wurde, das vergossene Blut also ausschließlich aufs Haupt derer kommt, die sich Christen nennen, aber weiter nichts sind als Hyänen des politischen Schlachtfeldes; daß die "armenischen" und "kretischen Greul" keineswegs im willkürlichen Abschlachten unschuldiger Christen bestanden, sondern in sorgfältig vorbereiteten, wohlorganisierten aber zum Glück unterdrückten Aufständen[...] Barth, Hans, Türke, wehre Dich!, 2. Auflage, Leipzig 1898, S.273.






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